Häufig erreicht mich die Frage nach der Zielgruppe der Projektpräsentation. Bei einigen IHKen ist es wohl möglich (oder gar üblich), dass der Prüfling die Zielgruppe vor der Präsentation auswählt, z.B. Kunden, Kollegen, Abteilungs- oder Projektleitung oder eben den Prüfungsausschuss. Welche Zielgruppe sollte man als Prüfling nun wählen und warum?
Meine Empfehlung: Immer den Prüfungsausschuss als Zielgruppe wählen!
Ich empfehle deshalb ganz klar die Zielgruppe Prüfungsausschuss, da alles andere einfach gekünstelt ist und außerdem für die Bewertung wichtige Inhalte evtl. nicht präsentiert werden, da die gewählte Zielgruppe in der Realität kein Interesse daran hat.
Wichtiger Hinweis: Wenn die IHK und/oder der Prüfungsausschuss die Wahl der Zielgruppe fordern, und der Prüfungsausschuss nicht auf der Liste der potentiellen Zielgruppen steht (sondern z.B. nur Kunde, Projektleiter, Vorgesetzter), muss man sich als Prüfling natürlich an diese Vorgabe halten! Das bedeutet, dass die Zielgruppe dann eine andere sein muss und die Präsentationsinhalte von den von mir vorgeschlagenen abweichen können.
Ausbildungsverordnung
In §15, Absatz 2 der Verordnung über die Berufsausbildung im Bereich der Informations- und Telekommunikationstechnik steht zur Projektpräsentation Folgendes:
Durch die Präsentation einschließlich Fachgespräch soll der Prüfling zeigen, daß er fachbezogene Probleme und Lösungskonzepte zielgruppengerecht darstellen, den für die Projektarbeit relevanten fachlichen Hintergrund aufzeigen sowie die Vorgehensweise im Projekt begründen kann. Dem Prüfungsausschuß ist vor der Durchführung der Projektarbeit das zu realisierende Konzept einschließlich einer Zeitplanung sowie der Hilfsmittel zur Präsentation zur Genehmigung vorzulegen.
Es ist explizit genannt, dass Zeitplanung und Hilfsmittel vor der Präsentation genannt werden sollen, aber von der Zielgruppe steht dort nichts. Lediglich der Hinweis auf die zielgruppengerechte Präsentation deutet auf die mögliche Unterscheidung hin. Allerdings entscheidet wohl jede IHK individuell, ob sie die Entscheidung erlauben oder gar erzwingen will.
Von daher muss natürlich meine Empfehlung sein, euch an die Vorgaben eurer konkreten IHK zu halten und ggfs. eine Zielgruppe zu wählen. Unter den erlaubten Zielgruppen sollte sich jedoch auch der Prüfungsausschuss befinden. Und meine Empfehlung ist, genau diesen zu wählen.
Gestellte Situation
Wir befinden uns bei der mündlichen Abschlussprüfung in einer (für die meisten Prüflinge) ungewohnten Situation. Die muss man nicht noch schlimmer machen, indem man eine total gekünstelte Situation herbeiführt und z.B. so tut, als würde man den Prüfungsausschuss als Kollegen kennen. Das wirkt einfach total gestellt und trägt nicht zum guten Eindruck des Prüflings bei, weil ich unweigerlich denke, dass es sich um ein Theaterspiel handelt.
Einer meiner Prüfling hat einmal wörtlich in seiner Präsentation gesagt: „Wie wir alle letzte Woche bei unserem gemeinsamen Meeting vereinbart haben…“. Dabei musste er selbst lachen, weil er merkte, wie seltsam das Ganze war. Und für die Prüfer war es nicht anders.
Zentrale Inhalte fehlen
Sobald man sich für eine Zielgruppe entscheidet, die nicht der Prüfungsausschuss ist, steht man unweigerlich vor der Frage, was man denn nun eigentlich präsentieren soll.
Was erwartet z.B. ein Kunde von der Präsentation? Kosten, Projektablauf, Qualitätssicherung? Wahrscheinlich. Aber konkrete Hardware/Software, UML-Diagramme oder Architekturskizzen? Wohl eher nicht. Oder doch? Kommt vielleicht auf den Kunden an!
Aber wer entscheidet das? Wer sagt am Ende, dass die Präsentation der Zielgruppe angemessen war? Der Prüfungsausschuss. Und der wird vielleicht technische Inhalte erwarten, weil er ein technisch interessierter Kunde ist. Aber der Prüfling sieht das vielleicht genau anders.
Und genauso verhält es sich mit den anderen Zielgruppen: Kollegen wollen vielleicht nur die Technik sehen, aber nicht die Kosten. Die Abteilungsleiterin will es aber vielleicht genau umgekehrt haben.
Wie man es auch dreht, es fehlen wahrscheinlich in jedem Fall wichtige Elemente der Projektarbeit. Der Prüfling kann also nicht all seine methodischen und kaufmännischen Fähigkeiten demonstrieren und das würde meiner Meinung nach zu einem Abzug führen müssen.
Der Prüfungsausschuss als Zielgruppe
Die Inhalte der Präsentation mit Zielgruppe Prüfungsausschuss sind demgegenüber sehr eindeutig: Projektplanung, Technik und Wirtschaftlichkeit. Oder einfacher gesagt: Alles! 😉
Das heißt, die Frage, welche Inhalte gezeigt werden, stellt sich nicht, da alle Inhalte potentiell interessant sind. Das heißt aber natürlich nicht, dass die Wahl der Themen für die kurze Präsentationszeit dadurch einfacher wird.
Allerdings entfällt die Diskussion über die erwarteten Inhalte einer fiktiven Zielgruppe, die weder Prüfling noch Prüfungsausschuss wirklich objektiv simulieren oder einschätzen können.
Fazit
Ich kann leider nicht für alle IHKen und Prüfungsausschüsse sprechen, sondern nur von meinen Erfahrungen und persönlichen Erwartungen berichten. Und ich bin ganz klar der Meinung, dass alle oben genannten Inhalte gezeigt werden müssen. Eine Anwendungsentwicklerin muss technische, wirtschaftliche und methodische Fähigkeiten haben und diese auch in der Abschlussprüfung unter Beweis stellen.
Und die einzig sinnvolle Zielgruppe, die Interesse an all diesen Punkten hat, ist der Prüfungsausschuss. Er bewertet genau diese Fähigkeiten und muss entscheiden, ob der Prüfling auf die Arbeitswelt losgelassen werden kann. Also erspart euch das Kopfzerbrechen über die Zielgruppe und seht die mündliche Prüfung nicht als Theaterstück, sondern als das was sie ist: eine Prüfung.
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Hallo Stefan,
idR verfasse ich höchst selten Kommentare als Blog-Leser, doch heute muss ich dir einfach für den prägnanten Beitrag danken. Seit Tagen überlege ich hin und her, wer denn nun meine Zielgruppe für die mündl. Prüfung in einigen Tagen sein sollte. Die Frage gestaltete sich als der schwerste Teil des Ganzen für mich heraus. Du hast sie mir perfekt beantwortet. Danke!
Grüße aus dem Schwarzwald
Hallo Timo,
freut mich, dass ich helfen konnte. Aber achte bitte unbedingt auf die Angaben deiner IHK bzgl. der möglichen Zielgruppen. Einige IHKen erlauben nur die Auswahl aus einer begrenzten Menge an möglichen Zielgruppen (Kunde, Chef usw.). Dann musst du deine Wahl natürlich aus dieser Menge treffen.
Viele Grüße!
Stefan
Guten Tag,
die IHK Stuttgart schließt bei IT-Berufen zumindest explizit die Zielgruppe „Prüfungsausschuss“ aus.
Es soll eine realistische Zielgruppe angesprochen und dieser der Sachverhalt verständlich rüber gebracht werden.
Ich empfehle jedem nach einmal auf der Infoseite der Zuständigen IHK zu seinem Beruf genau hinzuschauen.
Ich habe die info zum Glück noch einige Tage vor der Prüfung bekommen.
Mit freundlichen Grüßen
Sergej
Moin,
ich stehe nun 10 Tage vor meiner Präsentation.
Bei mir sieht es genauso aus das die Zielgruppe Prüfungsausschuss ausgeschlossen wurde.
Angegeben habe ich als Zielgruppe das Backoffice.
Ich bin ein bisschen unsicher was nun die Vorstellung meiner Person angeht, auch bin ich nun unsicher ob ich in der Präsentation auf geschriebenen Code eingehen soll wenn das Backoffice ja eh nichts davon versteht.
Präsentiere ich nun einfach die Funktionsweisen meines Tools, und erkläre den Finanziellen Aspekt ?
Quasi als wäre es eine Vorstellung , eines neuen Tools für die Abteilung.
Hallo Simon, wenn du eine Zielgruppe wählen musst, ist dein Job „zielgruppengerecht“ zu präsentieren. Und wenn der Fachbereich nichts mit Code anfangen kann, musst du ihn weglassen.
Dass ich dieses ganze Konstrukt mit den Zielgruppen völlig beknackt finde, ist wohl klar. Aber du musst dich einfach an die Vorgaben deiner IHK halten.