Um das Neuordnungsverfahren der IT-Berufe geht es im Interview mit Silvio Kennecke und Jörg Ferrando in der einhundertdreiundsechzigsten Episode des IT-Berufe-Podcasts.
Podcast: Play in new window | Download (Duration: 1:13:23 — 28.0MB)
Abonnieren: Apple Podcasts | Spotify | RSS
Neuordnungsverfahren der IT-Berufe im Jahr 2020
- Wie sind eure Namen und wo arbeitet ihr?
- Silvio Kennecke, 22 Jahre alt, Softwareentwickler für Webshops in Bremen. Bundessachverständiger im Neuordnungsverfahren der IT-Berufe.
- Jörg Ferrando, „Berufemacher“ bei der IG Metall. Gewerkschaftssekretär im Ressort für Bildungs- und Qualifizierungs-Politik bei der IG Metall, hat das Verfahren als Koordinator auf Arbeitnehmerseite von Anfang an begleitet. Er organisiert den Prozess und führt die Verhandlungen mit den Arbeitgebern. Er hat bereits verschiedene Berufe umgesetzt.
- Wie wird man mit 22 Jahren Sachverständiger?
- Nicht die Berufsjahre zählen, sondern der Weitblick im eigenen Beruf und den Branchen. Über die Arbeit in der Gewerkschaft ist er zur Rolle gekommen.
- Jörg hat Silvio „ausgesucht“.
- Wie seid ihr zur Informatik bzw. Softwareentwicklung gekommen?
- Silvio: Über die Eltern, die aus dem IT-Umfeld kommen. An der Oberschule hat er Informatikunterricht angeregt und sich selbst Übungsaufgaben ausgedacht. Dort ging es um Websites mit HTML usw. Dann hat er sich in der Bibliothek ein Buch über JavaScript ausgeliehen und einen ersten Einstieg in die Programmierung gefunden. Danach hat er dann PHP programmiert und auch Cross-Platform-Entwicklung gemacht.
- Welche Ausbildung bzw. welches Studium habt ihr im Bereich der Informatik absolviert?
- Silvio: Ausbildung zum Fachinformatiker Anwendungsentwicklung
- Jörg: Hat mal PHP programmiert und kann ein bisschen SQL, aber er hat keine IT-Ausbildung.
- Was ist deine Lieblingsprogrammiersprache und warum?
- Silvio: PHP, Swift (aber er macht aktuel lzu wenig damit)
- Wie kam es zur Neuordnung der IT-Berufe? Wer hat den Prozess „angestoßen“ und warum?
- Es ging schon 2012 los. Jörg hat mit der Bitkom gesprochen aufgrund des „20. Geburtstages“ der IT-Berufe.
- Zunächst waren es zähe Gespräche. Die Arbeitgeber wollten nicht zustimmen. Dafür gab es rückblickend gute Gründe.
- Die IG Metall ging auf die Arbeitgeber zu. Das hat dann bis 2018 gedauert.
- Wer sind „die“ Arbeitgeber?
- Es gibt mehrere Arbeitgeberverbände mit einem Dachverband. Die DGB ist der Dachverband für die Gewerkschaften.
- Wer hat bei dem Verfahren den Hut auf?
- Die Spitzenorganisation KWB (Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung) und der DGB haben einen Antrag beim Wirtschaftsministerium gestellt mit Auftaktgespräch.
- Das Wirtschaftsministerium hat dann eine Weisung an das BIBB herausgegeben und die Neuordnung gestartet.
- Dann hat das BIBB Briefe mit der Bitte um Benennung von Sachverständigen verschickt.
- Die „Berufemacher“ haben dann Sachverständige ausgesucht.
- Das BIBB moderiert das Neuordnungsverfahren, letztlich verantwortlich ist aber das Ministerium.
- Wer hat an der Neuordnung der IT-Berufe mitgewirkt und wie wurden diese Personen ausgesucht?
- Die Berufemacher suchen die Sachverständigen aus. Dazu sind natürlich gute Kontakte in die betriebliche Praxis wichtig.
- Wie war eure Rolle bei der Neuordnung und wie seid ihr dazu gekommen?
- Jörg hat Silvio angesprochen.
- Das BIBB hat zur ersten Sitzung eingeladen. Dort wurden alle ins Thema und den Prozess eingeführt. Wer hat welche Aufgaben? Welche Ziele werden verfolgt? Wie ist das genaue Vorgehen?
- Wie viele Menschen waren beteiligt?
- Es gab sehr viele Stakeholder (Verbände etc.) und Sachverständige, insb. weil es eben mehrere IT-Berufe gibt.
- In Summe über Arbeitgeber, Arbeitnehmer und sonstige Beteiligte ungefähr 30-35 Personen.
- Normalerweise (für Monoberufe) sind 3 Arbeitnehmer, 3 Arbeitgeber und ihre Stellvertreter beteiligt.
- Für die IT-Berufe: je Fachrichtung 2 Arbeitgeber, 2 Arbeitnehmer und Stellvertreter.
- Wie lief der Prozess der Neuordnung ab? Wer hat wann was entschieden?
- Grundfragen wurden gemeinsam geklärt, danach wurden Arbeitsgruppen gebildet, die auch gar nicht unbedingt nach Berufen aufgeteilt wurden.
- Welche Inhalte sind noch aktuell laut Ausbildungsplan? Welche sind nicht mehr zeitgemäß?
- „Gruppenarbeiten“ sind aus der Schule bekannt. Wichtig ist es, einen Konsens zu schaffen.
- Bereits vor dem Anfangsgespräch werden Eckwerte festgelegt wie Berufenamen und Prüfungsform.
- Das Vorverfahren hat Entscheidungsgrundlage für Eckwerte geliefert und auch der Datenschutz wurde geklärt.
- Das hat 1,5 Jahre gedauert. Die Berufsordnung ist quasi ein Gesetzgebungsverfahren, an dem viele Personen und Stellen beteiligt sind.
- Normalerweise dauert das nur ein halbes Jahr, aber die IT-Berufe sind eine Ausnahme wegen extrem vieler Beteiligter.
- Schnelligkeit basiert auf Vertrauen und das hat länger gedauert wegen vieler Beteiligter.
- Die Arbeitgeber haben zunächst nicht gesagt, warum eher nicht neugeordnet werden soll. Ihre Angst war, dass die Prüfungsform des Praxisprojekts vielleicht abgeschafft werden soll.
- Der „betriebliche Auftrag“ war nicht gewünscht von den Arbeitgebern, sie haben gekämpft für die Projektprüfung.
- Die Formulierung des Auftrags ist Teil des Projekts. Beim betrieblichen Auftrag wird das Thema vom Ausschuss vorgegeben bzw. der Auftrag muss „fertig“ sein.
- Das Projekt muss komplett durchgeführt werden aktuell inkl. Wirtschaftlichkeit, beim betrieblichen Auftrag ist eher nur die Umsetzungsphase Inhalt.
- Wie wurden die Inhalte der neuen Verordnung und insb. des Ausbildungsrahmenplans festgelegt? Wer hat die Themen bestimmt?
- Das ging immer zwei Schritte nach vorne, dann wieder einen zurück. Das Einspielen im Team hat zunächst gedauert.
- Was ist elementar wichtig für den Beruf? Was erwarten wir von FIAE, FISI usw?
- Dann wurde der alte Ausbildungsplan durchgeschaut und in berufsspezifischen Arbeitsgruppen gearbeitet.
- Die berufsübergreifenden Themen haben lange gedauert, weil diskutiert wurde, wie intensiv man was können sollte. Beispielsweise sollte jeder ITler mal ein Programm geschrieben haben. Dieses „Grundverständnis“ gehört dazu für alle ITler.
- Wieso brauchen wir vier verschiedene Fachrichtungen des Fachinformatikers?
- Die Weisung aus dem Antragsgespräch hat das vorgegeben. Der Auftrag war die Evaluierung der Bedarfe aus der Industrie. Das war zwar schon gegeben, aber ergebnisoffen. Es sollte nochmal evaluiert werden.
- Bei Audi gab es eine Sitzung, um im Betrieb mit Azubis zu sprechen usw. Da gab es dann auch Einblicke in die Industrie mit ihren ganz eigenen Anforderungen an die Ausbildung. Silvio vertritt eher KMU. Es war schwierig dort einen Konsens zu finden.
- Man darf bei der Bewertung der IT-Berufe nicht nur in seiner eigenen Blase denken. Die Wirtschaft ist vielfältig. Ziel war nicht, vier Fachrichtungen zu schaffen, sondern den Bedarf aus der Praxis zu decken.
- Ungefähr 2016 ging es los mit der Angst vor einem „Apple/Google-Auto“ in Deutschland. Die Industrie brauchte jemanden für das „deutsche Apple-Car“. Das sollte dann zunächst der „MATSE“ (Mathematisch-technischer Softwareentwickler) sein, der auch in Hessen umgesetzt wurde.
- IT-Berufe waren für viele Betriebe immer noch als „Telekom-Berufe“ im Kopf und sie hatten keinen guten Ruf. Daher wurden neue Berufe bzw. Fachrichtungen geschaffen.
- Wie stellt ihr sicher, dass die Themen des Ausbildungsrahmenplans eine lange Lebensdauer haben?
- Das ist schwer zu sagen. Es gibt eine Umfrage unter Betrieben mit Zielen/Ausrichtung/Bedarf für die Zukunft. Der Abschlussbericht der Voruntersuchung zur Neuordnung enthält diese Informationen.
- Zusätzlich haben wir uns an der eigenen betrieblichen Praxis orientiert.
- Und dann wird nicht „NoSQL“ oder „Big Data“ aufgeschrieben, sondern das grundlegende Handwerkszeug. Nicht „Java“, sondern „Objektorientierung“.
- Im Verfahren gibt es auch Personen, die aufpassen, dass die Inhalte nicht zu spezifisch werden.
- Wie wurden die Umsetzungshilfen erstellt und wer hat daran mitgewirkt?
- Die Umsetzungshilfen enthalten konkrete Inhalte zu den abstrakten Verordnungen.
- Sie wurden im Nachgang an das Neuordnungsverfahren erstellt.
- Welche Themen wurden weniger oder mehr diskutiert (kontroverse Themen)?
- Es gab durchaus einige Diskussionen. Aber alle Sachverständigen kommen aus der Praxis (Ausbilder, Entwickler etc.), sodass fachlich schnell ein Konsens gefunden wurde.
- Die gestreckte Prüfung wurde ausgiebig diskutiert.
- Beim aber auch bei IT-Systemelektroniker auch die Frage, wie viel E-Technik vermittelt werden soll.
- Warum wurde die gestreckte Abschlussprüfung eingeführt?
- Mein Problem mit der Prüfung sind die scheinbar gleichen Inhalte für alle ITler.
- Eigentlich soll die Prüfung aber für jeden Beruf individuell sein. Das wird allerdings wohl nicht so sein (zumindest in der ersten Prüfung).
- Das Ziel ist, den Workload für die Prüflinge in Teil 2 der Prüfung zu reduzieren. Alle in Teil 1 geprüften Inhalte werden nicht mehr in Teil 2 geprüft. Beispiel: SQL in Teil 1, dann nicht mehr in Teil 2.
- Die Themen/Inhalte der Prüfung sollen reduziert werden, nicht nur die Minuten der schriftlichen Prüfung.
- Die Ersteller sind froh darüber, die alte Zwischenprüfung abzulösen.
- Was ist eure Meinung zur „Vereinheitlichung“ der ersten 18 Monate? Kommt da die Spezialisierung nicht viel zu spät?
- Nein, da die Prüfungen spezifisch für den jeweiligen Beruf sein sollten (!).
- Wie werden die neuen Prüfungen erstellt? Wer denkt sich die Fragen aus?
- Silvio macht bei den Prüfungen mit seit der Neuordnung.
- Es ist eine „handlungsorientierte Prüfung“, also soll ein betrieblicher Handlungsstrang erkennbar sein, ein „roter Faden“.
- Der Erstellungsausschuss legt fest, welche Bereiche abgedeckt werden sollen, dann werden kleine Gruppen für die konkreten Fragen gebildet.
- Die Fragen können abhängig vom Kontext unterschiedlich beantwortet werden. Daher auch der Hinweis „Auch andere Lösungen können richtig sein“.
- Gibt es eine Art „Peer-Review“ für die Prüfungsfragen? Testet ihr die Lösungen auf Machbarkeit?
- Der Ausschuss tauscht sich untereinander aus und „testet“ auch die anderen Fragen.
- Das Ziel ist, eine machbare und faiee Prüfung zu erstellen.
- Werden die Aufgaben auf dem Papier erstellt oder wird z.B. SQL mal wirklich in einer Datenbank getestet?
- Dazu kann Silvio leider (noch) nichts sagen.
- Wie viele Personen erstellen die Prüfungen?
- Der Erstellungsausschuss ist paritätisch besetzt (wie der Prüfungsausschuss) mit Arbeinehmer/Arbeitgeber/Lehrer.
- 2-3 Personen erstellen eine Aufgabe. Teilweise gibt es auch Einzelarbeit. Danach kontrolliert der Ausschuss die Aufgaben. Ein Lektorat gibt es auch noch.
- Trotzdem können natürlich Fehler auftreten.
- Macht Baden-Württemberg (wieder) sein eigenes Ding bei den Prüfungen?
- Ja, Baden-Württemberg wird wieder eigene Prüfungen haben.
- Das gilt aber für alle Berufe! Baden-Württemberg nimmt die Prüfungen in den Berufsschulen ab, weswegen dort alles anders läuft.
- Habt ihr schon Feedback zu den neuen Berufen bekommen? Werden sie gut angenommen? Was sagen die Berufsschulen?
- Silvio hat gemischtes Feedback bekommen, aber viele Betriebe sagen, dass die Neuordnung gut gelaufen ist. Die Prüflinge der neuen Prüfungen sind natürlich etwas „ängstlich“, da noch nicht bekannt ist, wie die Prüfungen aussehen.
- Jörg hat ausschließlich positives Feedback bekommen. Nur das obligatorische Henne-/Ei-Problem „Wer soll das ausbilden?“ besteht insb. bei den neuen Fachrichtungen. Aktuell gibt es deutschlandweit 72 Fachinformatiker Daten- und Prozessanalyse und 51 Fachinformatiker Digitale Vernetzung.
- Wie bereitet man sich als Azubi auf die neue Prüfung vor?
- Es wird neue Themen geben, aber die bisherigen Berufe/Prüfungen geben eine Orientierung.
- Die Art der Aufgaben wird sehr ähnlich sein wie bisher.
- Ganz neue Themen werden „schleichend“ eingeführt wie früher: z.B. erst ein englischer Text, dann eine kleine Aufgabe, dann eine große usw.
- Der Erstellungsausschuss möchte eine faire Prüfung erstellen. Es wird keine Themen geben, die niemand kennen kann.
- Empfehlung für Azubis: Auch mal den Rahmenlehrplan und die Umsetzungshilfen anschauen!
- Haben wir noch Themen vergessen, die wir unbedingt besprechen sollten?
- Ein wichtiges Thema ist das „E-Competence Framework“, eine EU-Norm für einen Qualifikationsrahmen in der IT. Es definiert IT-Kompetenzen nach Niveaus und kann für die internationale Vergleichbarkeit der Ausbildung verwendet werden.
- Die IT-Berufe sind der allererste Berufsbereich, der das auch nach der neusten Version hat.
- Firmen weltweit können damit erkennen, was man als Azubi für ein Niveau durch die Ausbildung erreicht hat.
- Einen guten Artikel gibt es beim BWP: Der e-CF – ein Sektorrahmen für IT-Fachkompetenzen.
- 2020 ist die Anzahl der Ausbildungsverträge deutlich zurückgegangen (-14,1% Anwendungsentwicklung, -4,5% Systemintegration).
- Die Neuordnung der IT-Weiterbildung steht an, insb. wegen Thema „Datenschutz“. Ziel ist ein neues Profil für den Operative Professional. Aktuell läuft das Vorverfahren beim BIBB.
- Habt ihr noch eine Buchempfehlung für die Hörer?
- Silvio: Weiterbildung muss nicht gleich ein Studium sein. Als ITler sollte man immer neugierig bleiben. Technik sollte man hinterfragen und sich eine eigene Meinung bilden.
- Jörg: Er liest gerade Im Grunde gut: Eine neue Geschichte der Menschheit* von Rutger Bregmann und kann es zur Persönlichkeitsentwicklung empfehlen. Außerdem gibt es ein wenig Hoffung!
- Wo können die Hörer mehr über euch erfahren bzw. euch kontaktieren?
- Jörg: wap.igmetall.de, gerne per Mail
- Silvio: Namen bei Google eingeben, man findet ihn dort sicherlich. Beispiel: LinkedIn
Literaturempfehlungen
Für Ausbilder:innen und Azubis sind die Umsetzungshilfen des BIBB sehr zu empfehlen. Auch für die möglichen Prüfungsinhalte sollte man dort einmal nachschauen. Hier beispielhaft verlinkt für Fachinformatiker: Umsetzungshilfe: Fachinformatiker/-in – BIBB / Informationen zu Aus- und Fortbildungsberufen.
Auch der Rahmenlehrplan der Berufsschule ist eine gute Quelle für mögliche Prüfungsthemen. Hier wieder beispielhaft für Fachinformatiker verlinkt: Rahmenlehrplan für die Ausbildungsberufe Fachinformatiker und Fachinformatikerin (ab 2020).
Ganz aktuell erschienen ist auch der Prüfungskatalog für die IHK-Abschlussprüfung mit den potentiellen Prüfungsthemen der neuen Abschlussprüfungen.
Eine allgemeine Leseempfehlung von Jörg: Im Grunde gut: Eine neue Geschichte der Menschheit* von Rutger Bregmann.
Links
- Permalink zu dieser Podcast-Episode
- RSS-Feed des Podcasts
- Der e-CF – ein Sektorrahmen für IT-Fachkompetenzen
- Abschlussbericht der Voruntersuchung zur Neuordnung der IT-Berufe
Hallo Stefan, wäre schön zu wissen, wie jetzt die neue Zwischenprüfung auszieht.
Die wird es nicht mehr geben. Ab sofort gibt es eine gestreckte Abschlussprüfung, deren 1. Teil auch schon zur Abschlussnote zählt. Wie genau sie aussehen, weiß noch niemand.